Ein Artikel von Prof. Dr. Ali Aslan Gümüşay (aus: Das Magazin zum Kirchenjahr)
Die Zakat ist eine der fünf zentralen Säulen des Islam, neben dem Glaubensbekenntnis, dem täglichen Gebet, dem Fasten im Ramadan und der Pilgerfahrt. Sie ist eine besondere Form der Almosen – und der Barmherzigkeit.
Im Koran wird die Zakat über 30 Mal erwähnt – und meist im Zusammenhang mit dem rituellen Gebet – geben und beten: Geb(et)en. Der Begriff Zakat kommt aus dem Arabischen und steht für Reinigung. So heißt es zum Beispiel in einem Vers, dass die Person, die ihre eigene Seele gereinigt hat, Erfolg hat. Der Wortstamm für Reinigung ist hier der gleiche wie bei der Zakat. Diese spirituelle Reinigung ist also eine positive Form der »Geldwäsche«.
Jedes Jahr im Ramadan kommt unter vielen Muslim:innen die Frage auf: Habe ich bereits meine Zakat entrichtet? Der Ramadan ist der Fastenmonat, der sich jedes Jahr um zehn Tage nach vorne verschiebt. Die Zakat ist eine Abgabe, die einmal im Mondjahr – und nicht Kalenderjahr – anfällt, wobei diese durchaus übers Jahr gestreut gespendet werden kann.
Warum nun im Ramadan? Das kann man aus zweierlei Sicht sehen. Einerseits mag dahinter der Versuch stecken, eine Art Doppelbonus zu erwirken. Gute Taten im Ramadan werden besser bewertet, vor allem in den letzten zehn Tagen. Anderseits sind diese Tage einfach besonders heilig und Muslime möchten aus Liebe zu Gott diese Heiligkeit mit guten Taten lobpreisen. Daher entrichten viele Muslime die Zakat zwischen dem 20. und 30. Tag im Ramadan.
Und jedes Jahr wieder stellt sich die Frage nach dem ob, wie viel und wohin. Grob gesagt, müssen 2,5 Prozent des liquiden Vermögens gegeben werden, wenn dieser höher als 4000 Euro liegt. Anders als die Kirchensteuer ist die Zakat also keine Einkommenssteuer, sondern eine Art Vermögenssteuer. Die Zakat kennt keine Obergrenze, und weil sie selbstverpflichtend und global ist, kennt sie auch nicht das Problem einer staatlichen Vermögenssteuer, bei der die Sorge besteht, dass insbesondere Reiche ihr Vermögen ins Ausland bringen würden. Gott kennt keine Staatsgrenzen und Steuerparadiese. Der französische Ökonom Thomas Piketty, der auf die ungleiche Verteilung von Reichtum im 21. Jahrhundert aufmerksam gemacht hat, könnte daran Gefallen finden.
Die Zakat wird insbesondere für Arme und Bedürftige entrichtet. Sie wird zum Beispiel an Hilfsorganisationen überwiesen oder einem Durchreisenden in einer Moschee bar in die Hand gedrückt. Sie soll auch die Herzen »versöhnen«. Inhärent ist ihr dabei ein doppelter sozialer Bezug: Sie dient einerseits der Beseitigung von Armut und Not und andererseits dem Aufbau einer Gemeinschaft.
Warum wird nun die Zakat entrichtet? Erstens ist das ganz im Eigensinn. Es heißt, die Abgabe reinige den bleibenden Reichtum. Man solle daher auch dankbar sein, wenn die Abgabe angenommen wird. Denn man gibt 2,5 Prozent und reinigt damit die restlichen 97,5 Prozent. Auch reinigt sie den Menschen, das Herz. Sie wirkt Geiz und Gier entgegen. Klingt nach einem guten Deal.
Darüber hinaus heißt es in einem Ausspruch von Muhammad, dass Almosen nicht einmal das eigene Vermögen reduzieren. Man gibt also etwas vom eigenen Kuchen ab, ohne dass dieser kleiner wird. So etwas kann nur mit dem Herzen »verstanden« werden. Im Buch Der kleine Prinz schreibt Autor Saint-Exupéry passend: »On ne voit bien qu’avec le coeur. L’essentiel est invisible pour les yeux. – Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.«
Zweitens ist die Abgabe ein Ausdruck der Relationalität, Teil des menschlichen Gefüges und einer Gemeinschaft zu sein. Und so heißt es in Muhammads Worten, dass Muslime in ihrer Barmherzigkeit und ihrer Zuneigung füreinander einem Körper gleichen; wenn ein Teil davon leide, reagiere der ganze Körper mit Schlaflosigkeit und Fieber.
Drittens geschieht die Abgabe einfach aus Liebe zu Gott. In der Zakat geschieht Erkenntnis, bzw. wird diese manifestiert. Menschen erkennen, dass nichts von dem, was sie als ihr Eigentum wahrnehmen, tatsächlich und letztendlich ihnen gehört. Es ist Gottes Eigentum. Eine Leihgabe. Menschen sind de facto zwar Besitzende, aber nicht Eigentümer. Und Gott möchte, dass Menschen teilen und weitergeben. Sie tun dieses nicht aus legalen oder eigennützigen Gründen, sondern aus einer Art Pflichtbewusstsein, Überzeugung und Liebe.
Es ist wie der christliche Sozialphilosoph Josef Pieper zum Gebet schreibt: Wenn man betet, geht es einem besser. Wenn man allerdings nur betet, damit es einem besser geht, dann klappt das nicht. Das Gebet hat also Nebenwirkungen, die eigentlich zentrale Auswirkungen sind. Es ist ein nicht-instrumentelles Verständnis des Gebetes. Gleiches bedarf es für das eigene Verhältnis zum Geben in Gemeinschaft und Gesellschaft. Paradoxerweise geben wir selbstlos und doch eigennützig – nur ist der Eigennutz im tiefen Glauben nachgelagert, eben eine Nebenwirkung. So wie auch Geliebte ihre Liebenden oder Eltern ihre Kinder nicht aus Eigennutz lieben, schützen oder pflegen, sondern aus Überzeugung, so ist es letztendlich auch mit dem Gebet und der Gabe.
Und vielleicht ist das besonders wichtig zu bedenken, dass die Zukunft der Gesellschaft eine Gesellschaft der Zukunft braucht, die durch uns alle mitgetragen wird – nicht (nur) durch Gesetze, sondern durch Überzeugungen und Liebe füreinander. Hierfür lohnt sich auch ein Blick auf die Religionen, die zwar in gefühlt entfernter Vergangenheit entstanden sind, aber durchaus wirkmächtig in der Zukunft sein können, insbesondere, wenn es darum geht, selbstlos eigennützigen gesellschaftlichen Zusammenhalt mitzutragen.
Der Wirtschaftswissenschaftler Ali Aslan Gümüsay hat an der University of Oxford promoviert und leitet eine Forschungsgruppe am Berliner »Alexander Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft«.
(entnommen aus: Andere Zeiten – das Magazin zum Kirchenjahr (1/2022), Andere Zeiten e.V.)